Klassiker: Aus dem Leben Hödlmosers - Reinhard P. Gruber

dtv Buchcover *
Buchtitel: Aus dem Leben Hödlmosers
Autor: Reinhard P. Gruber

Genre: Gesellschaftsroman / Satire
Alter: ab 14 Jahren
ISBN: 978-3-423-13467-5
Erstmals erschienen: 1973
Verlag: dtv *
Seiten: 128


Diesmal nehme ich das Buch "Aus dem Leben Hödlmosers, ein steirischer Roman mit Regie", von Reinhard P. Gruber aus dem Jahr 1973 unter meine Leselupe.

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Gruber, der selbst in der Steiermark lebt, hat mit diesem Werk einen österreichischen Anti-Heimatroman verfasst, in dem er die Gewohnheiten und Ansichten der Menschen böse-satirisch, mit viel schwarzem Humor, und doch liebevoll am Beispiel seiner Hauptfigur Hödlmoser darstellt.

Der Bauer Hödlmoser aus Kumpitz in der Steiermark kommt nach einer langen Gefängnisstrafe zurück nach Hause und setzt sein Leben fort wie gehabt. Eines Morgens schwängert er im Wald die schöne Fani, die seinem Sohn Schurl das Leben schenkt und fortan mit ihm auf dem Hödlmoserhof lebt. Doch weil der Hödlmoser einen Hang zum Alkohol hat und viel zu gerne rauft, kommt es, wie es kommen muss und das Unglück nimmt selbst in der idyllischen Steiermark seinen Lauf.

Der Autor präsentiert uns seine hödelmosersche Lebensgeschichte in durchgehender Kleinschreibung. Etwas eigenwillig eben, so wie er auch den Steirermenschen darstellt. Das Buch ist in eher kurze Kapitel unterteilt. Dabei folgt beinahe jedem Kapitel eine dazugehörige Regieanweisung, die dem Leser die Hintergründe und Gedankengänge der beteiligten Personen näherbringt.

Die Geschichte selbst ist in einer, zu Land und Leuten passenden, einfach gehaltenen Sprache mit kurzen Sätzen verfasst. Der Sprachstil wirkt intim und persönlich aufgrund der eingestreuten Wörter aus dem Dialekt und der kurz gehaltenen Dialoge. Authentisch durch seine Einfachheit. Im krassen Kontrast dazu werden in den Regieanweisungen die inneren und äußeren Dialoge der Handelnden sowie die Geschehnisse rundherum in aufgeblähter, gehobener Sprache mit einer Unzahl an Fremd- und Fachwörtern gewürzt und dabei beinahe unverständlich.

Als satirische Elemente fungieren großteils die Regieanweisungen. Die Ironie ergibt sich darin einerseits durch den Kontrast der primitiven Handlungsstränge mit der übertrieben wissenschaftlichen Genauigkeit, mit der sie auseinander genommen werden. In anderen Regieanweisungen entsteht die Witzigkeit durch die unglaublich hochtrabenden, aber fehlerhaften Kausalverknüpfungen der einfach gestrickten Menschen, die scheinbar sehr überlegt handeln, deren Rückschlüsse und Gedankengänge nur leider jeder Logik entbehren. Das hat mich vor allem zu Beginn sehr zum Schmunzeln und Lachen gebracht, das Buch war für mich sehr unterhaltsam. 

Der Autor beginnt seine Erzählung mit einer Einführung und erklärt dem Leser alles, was ihm als wesentlich zur Steiermark erscheint, ihre Stellung innerhalb Österreichs und den Steirermenschen als Resultat und Bestandteil der Steiermark. Gruber stellt in seiner Geschichte den Steirer als sehr naturverbunden dar. Diesen Umstand untermauert er gleich in der Einleitung durch seine Typologie des Steirermenschen, die sich ganz nach dessen Aufenthaltsort in der Steiermark ergibt. Es gibt also Bergsteirer, Feldsteirer, Waldsteirer, Steinsteirer uvm.

Die Einführung und auch der restliche Aufbau des Buches, sowie die Namen der Kapitel, die etwa "die steirische wahlgeschichte" oder "die steirische aggressionsgeschichte" lauten, erweckt beim Leser den Eindruck, dass das Verhalten und Wirken des Steirers nicht dessen persönlicher Entscheidung entspringt, sondern sich auf ganz natürliche Weise aus dem Wesen der Steiermark heraus ergibt. Das impliziert wiederum, dass der Steirer somit auch nicht für sein "typisch steirisches" Verhalten verantwortlich gemacht werden kann.

Im Laufe der Geschichte steht aber auch der urtypische Steirer Hödlmoser immer wieder vor Ereignissen, wo er sein Leben und seine eingefahrenen Verhaltensweisen hinterfragen muss. Leider enden seine Gedankengänge meist so, dass er sich sein eigenes Leben doch wieder schön redet, die Fehler nur bei anderen sieht, seine eigenen gerne relativiert und sich für ihn ein Überdenken des eigenen Lebensweges guten Gewissens aufschieben lässt.

Der Hödlmoser ist trotz, oder gerade wegen seiner Unvollkommenheit und den kleinen Erkenntnissen, die er immer wieder, teilweise auch im Alkoholrausch gewinnt, eine Hauptfigur, mit der ich sehr mitgefühlt habe. Als er sich zum Beispiel bei seinem Sohn Schurl nach mehreren Ohrfeigen entschuldigt, oder bei seinen tiefgründigen Gedanken während eines Begräbnisses, bei dem ihm für einen kurzen Augenblick die Eigenverantwortung für sein Tun klar wird, habe ich mir sehr gewünscht, dass er an seinen Erfahrungen wachsen kann und sich weiterentwickelt. Ich hatte das Gefühl, er macht so viel durch und kommt letztlich doch nicht weiter.

Das Buch verbalisiert viele Probleme der Gesellschaft am Beispiel der Steirer, die jedoch nicht speziell die Steiermark oder die Landbevölkerung an sich betreffen, sondern überall zu finden sind.

Zum Beispiel den Alkoholismus, der teilweise als normal und zum Erwachsenenleben dazugehörend angesehen wird und in Hödlmosers Fall zu dramatischen Ereignissen führt. Es wird auch klar dargestellt, welch schlechtes Vorbild er dahingehend für seinen Sohn Schurl abgibt, der übrigens immer wieder in der Geschichte für den Hödlmoser die Rolle des vorgehaltenen Spiegels übernimmt.

So auch beim Thema körperliche Gewalt gegen Kinder.
Beim Lesen eines Zeitungsartikels über die Misshandlung eines Kindes zeigt der Schurl durch seine Reaktion, dass auch er die Übermacht seiner Eltern schon des öfteren hart zu spüren bekommen hat. Kurz kommt es dem Hödlmoser und seiner Frau falsch vor, ihren Schurl jemals geschlagen zu haben. Doch der Fall in der Zeitung ist derart brutal beschrieben, dass sie sich bereits nach ein paar weiteren Absätzen wieder als vorbildliche Eltern fühlen, weil sie noch nie so weit gegangen sind. 
Interessant in dem Zusammenhang:
1973, als das Buch erschienen ist, hatten Eltern in Österreich immer noch das Recht, ihre Kinder körperlich nach eigenem Ermessen zu züchtigen. Nach einigen Reformschritten, angefangen im Jahr 1977, nach denen der Gesetzestext aber immer noch sehr schwammig war, wurde erst 1989 ein absolutes Gewaltverbot in der Kindererziehung erlassen.
Ich habe selbst Kinder und bin sehr froh darüber, dass sich die Politik bzw. Gesellschaft dahingehend bereits sehr zu ihrem Besseren gewandelt hat. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob der Schritt bereits geschafft ist, dass wir unsere Kinder tatsächlich mit dem angebrachten Maß an Wertschätzung betrachten. Oder hat sich die Entladung der Aggressionen den Kindern gegenüber schlicht und einfach mehr in Richtung psychischer Gewaltanwendungen verschoben, die nicht so schnell öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Was ist eure Einschätzung zu diesem Thema?

Auch die Frage, inwiefern der Mensch sich nach seinem Tod vor Gott rechtfertigen muss, beschäftigt unseren Helden Hödlmoser immer wieder, vor allem aber auf eine Art, in der er sich vor Strafe fürchtet. Dem stellt der studierte Theologe Gruber die Angst vor dem Gefängnis gegenüber, die bei Hödlmoser noch wesentlich schwerer wiegt als seine moralischen Bedenken, falls man sie tatsächlich als solche bezeichnen kann.

Am verstörendsten empfand ich diese Gesinnung beim Tod einer dem Hödlmoser sehr nahe stehenden Person. In dieser dramatischen Situation schwirren dem Hödlmoser alle möglichen Gesetzestexte und Paragraphen durch den Kopf, und er beschäftigt sich ausschließlich damit, herauszufinden, ob er für den Tatbestand strafrechtlich belangt werden kann oder nicht.

Und obwohl es nicht in Hödlmosers Bewusstsein vordringt, beeinträchtigt ihn dieser Verlust stark. Das wird zwar nirgends im Buch erwähnt oder thematisiert, aber der aufmerksame Leser bemerkt, dass Hödlmoser noch exzessiver trinkt als zuvor, ständig in Raufereien verwickelt ist und daraus resultierende Gefängnisstrafen absitzen muss. Aus diesem Verhalten spitzt sich auch sein persönliches Schicksal zu. Es könnte also als Auswirkung dieses Verlustes gedeutet werden, welchen er nicht überwunden und aufgearbeitet hat.

Der Abschluss des Buches erscheint zunächst übertrieben, aber ich fand es dann doch sehr gelungen, wie Gruber den Kreis der Geschichte schließt. Zu Beginn führt er ja schon aus, wie intensiv der Steirer mit der Steiermark verbunden ist. Dadurch ergibt das Ende auch Sinn, denn wie Gruber sagt: "es blutet der steirische boden, wenn der steirische mensch blutet."

Mein Fazit:
Mir hat der Roman sehr gut gefallen, und gerade in der ersten Hälfte des Buches habe ich wirklich viel gelacht! Ich bin der Meinung, dass man den Witz in dieser Satire auch dann versteht, wenn man von der Steiermark nicht viel Ahnung hat. Lustiger ist es aber allemal, wenn man die Wesensart und das Leben am Land kennt. Obwohl mir das Verhalten Hödlmosers an manchen Stellen doch etwas zu überreizt, schon ins psychotische gehend war, kommen die Botschaften dadurch, wie in jeder Satire, eben leichter beim Leser an.
Bei den Regieanweisungen musste ich viele Fremdwörter nachschlagen, sonst wäre sinnerfassendes Lesen nicht möglich gewesen. Das Buch macht aber nicht nur der Witz und der enorme Wortschatz aus, sondern vor allem auch die gesellschaftskritische Tiefgründigkeit, die durch die Verpackung in der Satire leichter zugänglich wird. 

Auch 45 Jahre nach Erscheinen des Buches sind die behandelten Themen immer noch aktuell. Und gerade, weil der heutige Leser das Buch aus zeitlicher Distanz betrachten kann und sich somit durch seine leicht spöttische Erzählweise nicht persönlich kritisiert fühlen muss, ist es leichter, sich selbst beim Schopf zu packen und die eigene Engstirnigkeit und starre Wiederholung althergebrachter Verhaltensweisen in Frage zu stellen.


Viel Spaß beim Selberlesen!

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Geschrieben von Susanne!
Ich hoffe, meine Rezension war hilfreich und Euch wird das Buch gefallen.
Die Inhalte sind meine persönliche Meinung zu diesem Buch.
Ich habe keine Gegenleistungen für diesen Text erhalten.

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