Gerechtigkeit. Das ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Gemeinsame Regeln zu haben und sich auch daran halten, ermöglicht es uns, friedlich zusammen zu leben.
Weil wir aber nicht selbst die Regeln bestimmen, sondern jemand anders, nämlich eine von uns gewählte Regierung, ist vermutlich niemand mit jedem einzelnen Gesetz und jeder Verordnung komplett einverstanden.
Es gibt beispielsweise Leute, die finden Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr übertrieben, und wieder andere ärgern sich über die - aus ihrer Sicht - unnötigen bürokratischen Hürden bei der Gründung eines Unternehmens. Und gerade jetzt sind viele ganz und gar nicht mit dem neuerlichen Corona-Lockdown einverstanden. Das ist deshalb so, weil alle Regeln Kompromisslösungen sind, welche die Bedürfnisse aller Bevölkerungsschichten zu berücksichtigen versuchen, und viele Dinge gegeneinander abwiegen. Nicht jeder kommt dabei auf seine Kosten.
Es teilen sich auch die Meinungen darüber, wie viele Regeln und Gesetze wir generell für ein gutes Zusammenleben brauchen, beziehungsweise ab welchem Grad der Fremdbestimmung wir uns eher schon in die Unmündigkeit gedrängt fühlen.
In Bezug auf unsere Regeln gibt es also viele Punkte, über die gestritten werden kann, und das ist auch gut so, denn Diskussionen sind ein sicheres Zeichen von gelebter Demokratie. Skeptisch werde ich eher dann, wenn es kaum kontroverse Gespräche über ein Thema gibt und alle einer Meinung sind.
Wenn sehr unterschiedliche Wünsche oder Interessen direkt aufeinander treffen, ergibt sich daraus ein Konflikt.
Grundsätzlich stehen uns mehrere Möglichkeiten der Konfliktlösung offen.
Es kann sein, dass eine der beteiligten Streitparteien aus Angst die Flucht ergreift. Das führt zu einer sehr schnellen, aber auch unbefriedigenden Konfliktlösung. Oder es kommt zum Kampf, mit dem Ziel, den anderen zu vernichten, oder im weniger schlimmen Fall, den Gegner zu unterwerfen und den eigenen Willen so durchzusetzen.
Die Königsdisziplin der Konfliktlösung ist das gemeinsame Verhandeln und anschließende Einigen auf einen Konsens, also auf einen gemeinsamen Weg, wo jeder Teilnehmer mit seiner Position sich in die Gegenpartei hineinversetzt, von der gewählten Lösung überzeugt ist und keine Verlierer zurückgelassen werden. Dieser Vorgang erfordert dabei aber von den Beteiligten gut entwickelte soziale Kompetenzen, ein hohes Maß an Kreativität und auch die grundsätzliche Bereitschaft dazu, überhaupt auf den anderen einzugehen und eine gemeinsame Lösung anzustreben und ist somit nicht immer möglich.
Um aber selbst dann noch einen zerstörerischen Kampf zu vermeiden, können die Beteiligten ihr Problem auch delegieren, das heißt, sie lassen eine übergeordnete Instanz über ihren Streit entscheiden. Das Regelwerk des Rechtsstaates ermöglicht es uns, Konflikte vor Gericht friedlich beizulegen.
Unverzichtbar für mein Gerechtigkeitsgefühl ist es dabei, dass Gesetze und Verordnungen klar formuliert sind und uneingeschränkt für alle gleichermaßen gelten, ob für jung oder alt, reich, arm, ob zugezogen oder einheimisch, einflussreich oder unscheinbar usw. Warum ich das extra erwähne? Weil es zwar logisch, aber nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Die Gerichte liegen nämlich auch im Interessenfokus der Politiker. Ein Beispiel. Der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat, Mitch McConnell ist ein sehr einflussreicher Mann. Falls ihr ihn nicht kennt, verlinke ich euch hier einen Artikel zu seinem politischen Wirken, da könnt ihr einiges über diesen Mann nachlesen.
Unter vielen anderen Dingen hat er während Barack Obamas Präsidentschaft die Besetzung von zahlreichen, wichtigen Richterposten so lange verhindert, bis Donald Trump an die Macht kam und die Republikaner dadurch Einfluss darauf hatten, wer in welches Richteramt berufen wurde. Der letzte wichtige Richterposten wurde erst am 26. Oktober 2020, also kurz vor den Wahlen nachbesetzt, und Amy Coney Barrett wurde zur Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten berufen. Dieser Umstand legt nahe, dass es für den Ausgang eines Falles nicht komplett egal ist, welche politische Meinung ein Richter hat.
Im Jahr 2015 z.B. gab es im Supreme Court of the United States einen Fall, wo darüber entschieden wurde, ob die US-Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Ehen vollumfänglich anerkennen müssen.
Vier Richter, die von republikanischen Präsidenten vorgeschlagen wurden, stimmten dagegen. Vier von demokratischen Präsidenten vorgeschlagene Richter stimmten dafür. Hmm?
Meinem idealistischen Gerechtigkeitsverständnis nach sollten Richter unparteiisch und unvoreingenommen sein, und Gesetze so geschrieben sein, dass sie nur eindeutige Entscheidungen zulassen, sodass die Person des Richters selbst keinen Einfluss auf das Ergebnis eines Prozesses hat. Ganz so einfach ist die Sache aber aus mehreren Gründen nicht. Einerseits können Gesetzestexte gar nicht so genau geschrieben werden, dass sie jeden einzelnen Fall abdecken, der auftreten kann. Sie sind eher Richtlinien, die dann vom jeweiligen Richter ausgelegt und interpretiert werden müssen.
Außerdem sind Richter auch nur Menschen. Menschen mit eigenen Ansichten, Überzeugungen und Moralvorstellungen, die sie nicht einfach komplett ausblenden können, wenn es um eine Urteilsfindung geht. Ich wage jetzt also einfach mal zu behaupten: Den völlig unvoreingenommenen Richter gibt es nicht.
Im Großen und Ganzen aber funktioniert das System des Rechtsstaats doch zumeist recht gut, was die Abweisungen von Donald Trumps Klagen gegen seine Wahlniederlage durch mehrere unterschiedliche Gerichte zeigen.
Einer, der das Thema des befangenen Richters bewusst überzeichnet auf den Punkt gebracht hat, ist Heinrich von Kleist mit seinem Lustspiel “Der zerbrochene Krug”.
Das Stück spielt Mitte des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, und es ist leicht, über die dargestellten Szenen zu lachen, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass es so ähnlich heutzutage auch noch zugehen könnte, wenn Richter befangen sind, zumindest hoffe ich das.
Die Hauptperson darin ist der Dorfrichter Adam, der an einem ziemlich konfusen Morgen erfährt, dass sich der Gerichtsrat auf dem Weg zu ihm befindet. Der kommt mit der Absicht, die Richter zu überprüfen und hat den Ruf, sehr genau und streng zu sein, und schon so manchen Richter abgesetzt zu haben. Daraufhin liegen bei Richter Adam die Nerven blank, und er gerät regelrecht Panik, doch bevor er sich noch halbwegs auf den wichtigen Besuch vorbereiten kann, ist der Gerichtsrat auch schon da, und mit ihm gleich die erste Streitpartei des Tages. Als ob die Situation nicht schon kompliziert genug für ihn wäre, muss der Richter auch noch über einen Streitfall richten, in dem er selbst der gesuchte Schuldige ist.
Für die meisten lustigen Momente in dem Stück ist der Richter Adam verantwortlich, weil er unglaublich kreativ dabei ist, den Sachverhalt so zu drehen, dass der Verdacht nicht auf ihn fallen soll, und dabei ganz offensichtlich schwer ins Schwitzen kommt. Denn die kritischen Augen des Gerichtsrats und der Wunsch des Schreibers, den Richter loszuwerden und selbst dessen Amt zu übernehmen, versperren ihm die Möglichkeit, sich durch seine übermächtige Position aus der Affäre zu ziehen, so wie er das gerne getan hätte und wie es ihm vermutlich zuvor schon des öfteren getan hat.
Richter Adam ist somit ein extremes Beispiel dafür, wie wir uns einen Richter nicht wünschen. Ein Blick in die Literaturgeschichte zeigt uns, dass der Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland ganz im Zeichen der Weimarer Klassik stand. Damals war es ein ungeschriebenes Gesetz, vorbildliches, erstrebenswertes Verhalten in die Handlung eines Dramas einzubauen. Kleist hat sich mit seinem Drama zwar formal an die klassischen Vorgaben gehalten, inhaltlich aber hat er die menschlichen Abgründe in den Vordergrund gestellt. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass er es mit seinem zerbrochenen Krug - und seinen anderen Stücken übrigens auch - damals gar nicht leicht gehabt hat. Viele Theater verweigerten die Aufführung seiner Dramen, und manche davon wurden sogar verboten. Ein Umstand, der ihn 1811 im Alter von 34 Jahren in den Selbstmord trieb. Er hatte das Pech, in seinem künstlerischen Ausdruck weder von seinen literarischen Zeitgenossen, noch vom damaligen Publikum verstanden zu werden.
Auch wenn es jetzt nichts mit dem Thema Gerechtigkeit zu tun hat, möchte ich euch den zweiten Missstand, den Kleist im zerbrochenen Krug anprangert, nicht vorenthalten. Es geht dabei um die Leichtgläubigkeit der jungen Eve, die in dem Stück durch hinterhältige Angstmacherei dazu gedrängt wurde, etwas zu tun, das sie eigentlich gar nicht wollte.
Ich glaube, bei dem Thema “Ängste verbreiten, schüren und für den eigenen Vorteil nutzen” fallen euch sicher ein paar gute Beispiele ein, wann diese Methodik schon benutzt wurde, um ganze Kriege zu beginnen, um Wahlen zu gewinnen oder im kleineren Maßstab auch, um uns Produkte zu verkaufen, die wir gar nicht brauchen, wie z.B. eine Hautcreme, die Elektrosmog abhalten soll oder angepriesene Allheilmittel wie hochdosierte Vitaminpräparate.
Durch Angst lässt sich unser Handeln leider sehr gut steuern und manipulieren. Entwicklungsbiologisch gesehen ist das natürlich sinnvoll und gut, denn wer nicht voller Angst vor dem Tiger flüchtet, der ist eben tot.
Aber nicht jede Angst ist eine derart sinnvolle Warnung. Sie könnte nämlich auch durch Fehlinformationen oder durch gezielte Manipulation entstanden sein.
Also nochmals danke an Heinrich von Kleist, dass er uns daran erinnert, misstrauisch zu werden, wenn jemand für seine Argumentation zu tief in die Ängstekiste hineingreift und böse Monster herausfischt, die es gar nicht gibt.
Das Buch ist gerade deshalb eine beliebte Schullektüre, weil es so ungeschönt die Methodik der Manipulation aufzeigt. Diese wird erst möglich durch naive und unkritische Menschen, wie die junge Eve. Das Stück ist nicht nur ein seichtes Lustpiel zum Lachen, sondern erinnert den Leser auch daran, empfindlich auf die Einflüsse anderer zu reagieren. Das bedeutet sicher nicht, dass wir überall nur noch Verschwörungen vermuten sollen, aber der gesunde Menschenverstand darf immer gern um seine Meinung befragt werden.
Falls ihr euch für die erwähnten Themen interessiert, kann ich euch den zerbrochenen Krug wärmstens empfehlen. Lasst euch nicht von den veralteten Ausdrücken und kunstvoll umgestellten Sätzen abschrecken, denn es gibt im Anhang jede Menge Anmerkungen, in denen deren Bedeutung erklärt wird. Das Lesen ist zwar für heutige Leser zugegebenermaßen anstrengend, aber gleichzeitig gibt es dabei auch viel zu lachen. Für mich hat sich die Mühe auf jeden Fall gelohnt!
Viel Spaß beim Selberlesen!
Buchtitel: Der zerbrochene Krug
Autor: Heinrich von Kleist
Genre: Lustspiel
Alter: ab 15 Jahren
Seiten: 137
ISBN: 978-3150191637
Erstmals erschienen: 1811
Verlag: Reclam *
Link: Kaufen (amazon)
Weil wir aber nicht selbst die Regeln bestimmen, sondern jemand anders, nämlich eine von uns gewählte Regierung, ist vermutlich niemand mit jedem einzelnen Gesetz und jeder Verordnung komplett einverstanden.
Es gibt beispielsweise Leute, die finden Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr übertrieben, und wieder andere ärgern sich über die - aus ihrer Sicht - unnötigen bürokratischen Hürden bei der Gründung eines Unternehmens. Und gerade jetzt sind viele ganz und gar nicht mit dem neuerlichen Corona-Lockdown einverstanden. Das ist deshalb so, weil alle Regeln Kompromisslösungen sind, welche die Bedürfnisse aller Bevölkerungsschichten zu berücksichtigen versuchen, und viele Dinge gegeneinander abwiegen. Nicht jeder kommt dabei auf seine Kosten.
Es teilen sich auch die Meinungen darüber, wie viele Regeln und Gesetze wir generell für ein gutes Zusammenleben brauchen, beziehungsweise ab welchem Grad der Fremdbestimmung wir uns eher schon in die Unmündigkeit gedrängt fühlen.
In Bezug auf unsere Regeln gibt es also viele Punkte, über die gestritten werden kann, und das ist auch gut so, denn Diskussionen sind ein sicheres Zeichen von gelebter Demokratie. Skeptisch werde ich eher dann, wenn es kaum kontroverse Gespräche über ein Thema gibt und alle einer Meinung sind.
Wenn sehr unterschiedliche Wünsche oder Interessen direkt aufeinander treffen, ergibt sich daraus ein Konflikt.
Grundsätzlich stehen uns mehrere Möglichkeiten der Konfliktlösung offen.
Es kann sein, dass eine der beteiligten Streitparteien aus Angst die Flucht ergreift. Das führt zu einer sehr schnellen, aber auch unbefriedigenden Konfliktlösung. Oder es kommt zum Kampf, mit dem Ziel, den anderen zu vernichten, oder im weniger schlimmen Fall, den Gegner zu unterwerfen und den eigenen Willen so durchzusetzen.
Die Königsdisziplin der Konfliktlösung ist das gemeinsame Verhandeln und anschließende Einigen auf einen Konsens, also auf einen gemeinsamen Weg, wo jeder Teilnehmer mit seiner Position sich in die Gegenpartei hineinversetzt, von der gewählten Lösung überzeugt ist und keine Verlierer zurückgelassen werden. Dieser Vorgang erfordert dabei aber von den Beteiligten gut entwickelte soziale Kompetenzen, ein hohes Maß an Kreativität und auch die grundsätzliche Bereitschaft dazu, überhaupt auf den anderen einzugehen und eine gemeinsame Lösung anzustreben und ist somit nicht immer möglich.
Um aber selbst dann noch einen zerstörerischen Kampf zu vermeiden, können die Beteiligten ihr Problem auch delegieren, das heißt, sie lassen eine übergeordnete Instanz über ihren Streit entscheiden. Das Regelwerk des Rechtsstaates ermöglicht es uns, Konflikte vor Gericht friedlich beizulegen.
Unverzichtbar für mein Gerechtigkeitsgefühl ist es dabei, dass Gesetze und Verordnungen klar formuliert sind und uneingeschränkt für alle gleichermaßen gelten, ob für jung oder alt, reich, arm, ob zugezogen oder einheimisch, einflussreich oder unscheinbar usw. Warum ich das extra erwähne? Weil es zwar logisch, aber nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Die Gerichte liegen nämlich auch im Interessenfokus der Politiker. Ein Beispiel. Der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat, Mitch McConnell ist ein sehr einflussreicher Mann. Falls ihr ihn nicht kennt, verlinke ich euch hier einen Artikel zu seinem politischen Wirken, da könnt ihr einiges über diesen Mann nachlesen.
Unter vielen anderen Dingen hat er während Barack Obamas Präsidentschaft die Besetzung von zahlreichen, wichtigen Richterposten so lange verhindert, bis Donald Trump an die Macht kam und die Republikaner dadurch Einfluss darauf hatten, wer in welches Richteramt berufen wurde. Der letzte wichtige Richterposten wurde erst am 26. Oktober 2020, also kurz vor den Wahlen nachbesetzt, und Amy Coney Barrett wurde zur Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten berufen. Dieser Umstand legt nahe, dass es für den Ausgang eines Falles nicht komplett egal ist, welche politische Meinung ein Richter hat.
Im Jahr 2015 z.B. gab es im Supreme Court of the United States einen Fall, wo darüber entschieden wurde, ob die US-Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Ehen vollumfänglich anerkennen müssen.
Vier Richter, die von republikanischen Präsidenten vorgeschlagen wurden, stimmten dagegen. Vier von demokratischen Präsidenten vorgeschlagene Richter stimmten dafür. Hmm?
Meinem idealistischen Gerechtigkeitsverständnis nach sollten Richter unparteiisch und unvoreingenommen sein, und Gesetze so geschrieben sein, dass sie nur eindeutige Entscheidungen zulassen, sodass die Person des Richters selbst keinen Einfluss auf das Ergebnis eines Prozesses hat. Ganz so einfach ist die Sache aber aus mehreren Gründen nicht. Einerseits können Gesetzestexte gar nicht so genau geschrieben werden, dass sie jeden einzelnen Fall abdecken, der auftreten kann. Sie sind eher Richtlinien, die dann vom jeweiligen Richter ausgelegt und interpretiert werden müssen.
Außerdem sind Richter auch nur Menschen. Menschen mit eigenen Ansichten, Überzeugungen und Moralvorstellungen, die sie nicht einfach komplett ausblenden können, wenn es um eine Urteilsfindung geht. Ich wage jetzt also einfach mal zu behaupten: Den völlig unvoreingenommenen Richter gibt es nicht.
Im Großen und Ganzen aber funktioniert das System des Rechtsstaats doch zumeist recht gut, was die Abweisungen von Donald Trumps Klagen gegen seine Wahlniederlage durch mehrere unterschiedliche Gerichte zeigen.
Einer, der das Thema des befangenen Richters bewusst überzeichnet auf den Punkt gebracht hat, ist Heinrich von Kleist mit seinem Lustspiel “Der zerbrochene Krug”.
Das Stück spielt Mitte des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, und es ist leicht, über die dargestellten Szenen zu lachen, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass es so ähnlich heutzutage auch noch zugehen könnte, wenn Richter befangen sind, zumindest hoffe ich das.
Die Hauptperson darin ist der Dorfrichter Adam, der an einem ziemlich konfusen Morgen erfährt, dass sich der Gerichtsrat auf dem Weg zu ihm befindet. Der kommt mit der Absicht, die Richter zu überprüfen und hat den Ruf, sehr genau und streng zu sein, und schon so manchen Richter abgesetzt zu haben. Daraufhin liegen bei Richter Adam die Nerven blank, und er gerät regelrecht Panik, doch bevor er sich noch halbwegs auf den wichtigen Besuch vorbereiten kann, ist der Gerichtsrat auch schon da, und mit ihm gleich die erste Streitpartei des Tages. Als ob die Situation nicht schon kompliziert genug für ihn wäre, muss der Richter auch noch über einen Streitfall richten, in dem er selbst der gesuchte Schuldige ist.
Für die meisten lustigen Momente in dem Stück ist der Richter Adam verantwortlich, weil er unglaublich kreativ dabei ist, den Sachverhalt so zu drehen, dass der Verdacht nicht auf ihn fallen soll, und dabei ganz offensichtlich schwer ins Schwitzen kommt. Denn die kritischen Augen des Gerichtsrats und der Wunsch des Schreibers, den Richter loszuwerden und selbst dessen Amt zu übernehmen, versperren ihm die Möglichkeit, sich durch seine übermächtige Position aus der Affäre zu ziehen, so wie er das gerne getan hätte und wie es ihm vermutlich zuvor schon des öfteren getan hat.
Richter Adam ist somit ein extremes Beispiel dafür, wie wir uns einen Richter nicht wünschen. Ein Blick in die Literaturgeschichte zeigt uns, dass der Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland ganz im Zeichen der Weimarer Klassik stand. Damals war es ein ungeschriebenes Gesetz, vorbildliches, erstrebenswertes Verhalten in die Handlung eines Dramas einzubauen. Kleist hat sich mit seinem Drama zwar formal an die klassischen Vorgaben gehalten, inhaltlich aber hat er die menschlichen Abgründe in den Vordergrund gestellt. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass er es mit seinem zerbrochenen Krug - und seinen anderen Stücken übrigens auch - damals gar nicht leicht gehabt hat. Viele Theater verweigerten die Aufführung seiner Dramen, und manche davon wurden sogar verboten. Ein Umstand, der ihn 1811 im Alter von 34 Jahren in den Selbstmord trieb. Er hatte das Pech, in seinem künstlerischen Ausdruck weder von seinen literarischen Zeitgenossen, noch vom damaligen Publikum verstanden zu werden.
Auch wenn es jetzt nichts mit dem Thema Gerechtigkeit zu tun hat, möchte ich euch den zweiten Missstand, den Kleist im zerbrochenen Krug anprangert, nicht vorenthalten. Es geht dabei um die Leichtgläubigkeit der jungen Eve, die in dem Stück durch hinterhältige Angstmacherei dazu gedrängt wurde, etwas zu tun, das sie eigentlich gar nicht wollte.
Ich glaube, bei dem Thema “Ängste verbreiten, schüren und für den eigenen Vorteil nutzen” fallen euch sicher ein paar gute Beispiele ein, wann diese Methodik schon benutzt wurde, um ganze Kriege zu beginnen, um Wahlen zu gewinnen oder im kleineren Maßstab auch, um uns Produkte zu verkaufen, die wir gar nicht brauchen, wie z.B. eine Hautcreme, die Elektrosmog abhalten soll oder angepriesene Allheilmittel wie hochdosierte Vitaminpräparate.
Durch Angst lässt sich unser Handeln leider sehr gut steuern und manipulieren. Entwicklungsbiologisch gesehen ist das natürlich sinnvoll und gut, denn wer nicht voller Angst vor dem Tiger flüchtet, der ist eben tot.
Aber nicht jede Angst ist eine derart sinnvolle Warnung. Sie könnte nämlich auch durch Fehlinformationen oder durch gezielte Manipulation entstanden sein.
Also nochmals danke an Heinrich von Kleist, dass er uns daran erinnert, misstrauisch zu werden, wenn jemand für seine Argumentation zu tief in die Ängstekiste hineingreift und böse Monster herausfischt, die es gar nicht gibt.
Das Buch ist gerade deshalb eine beliebte Schullektüre, weil es so ungeschönt die Methodik der Manipulation aufzeigt. Diese wird erst möglich durch naive und unkritische Menschen, wie die junge Eve. Das Stück ist nicht nur ein seichtes Lustpiel zum Lachen, sondern erinnert den Leser auch daran, empfindlich auf die Einflüsse anderer zu reagieren. Das bedeutet sicher nicht, dass wir überall nur noch Verschwörungen vermuten sollen, aber der gesunde Menschenverstand darf immer gern um seine Meinung befragt werden.
Falls ihr euch für die erwähnten Themen interessiert, kann ich euch den zerbrochenen Krug wärmstens empfehlen. Lasst euch nicht von den veralteten Ausdrücken und kunstvoll umgestellten Sätzen abschrecken, denn es gibt im Anhang jede Menge Anmerkungen, in denen deren Bedeutung erklärt wird. Das Lesen ist zwar für heutige Leser zugegebenermaßen anstrengend, aber gleichzeitig gibt es dabei auch viel zu lachen. Für mich hat sich die Mühe auf jeden Fall gelohnt!
Viel Spaß beim Selberlesen!
Buchtitel: Der zerbrochene Krug
Autor: Heinrich von Kleist
Genre: Lustspiel
Alter: ab 15 Jahren
Seiten: 137
ISBN: 978-3150191637
Erstmals erschienen: 1811
Verlag: Reclam *
Link: Kaufen (amazon)

Geschrieben von Susanne!
Ich hoffe, meine Inhalte sind hilfreich und Euch wird das Buch gefallen.
Die Inhalte zu Büchern sind meine persönliche Meinung.
Ich habe keine Gegenleistungen für diesen Text erhalten.
* Alle Inhalte dieses Buches, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken (Buchcover), sind urheberrechtlich geschützt. Das Urheberrecht liegt, soweit nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, beim Verlag [siehe obiger Link zum Verlag].
Danke für das interessante Thema.
AntwortenLöschenTragisch, dass Kleist so ein Schicksal ereilte.
Ja, das ist wirklich traurig. Es ist oft sehr schwierig, als Künstler gegen den Mainstream anzuschwimmen, auch heute noch...
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